The Villages: Die Boom-Stadt der Rentner (2024)

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The Villages: Die Boom-Stadt der Rentner (1)

Heißer Schwoof auf dem Marktplatz. (Foto: © Stefanie Boewe)

GOLFMOBILE, wohin das Auge blickt. Zwei, mitunter drei der kleinen Vehikel teilen sich je eine der Autoparkbuchten rund um den Marktplatz am Lake Sumter Landing in The Villages in Zentralflorida. Golfcarts sind in der größten Seniorenwohnanlage der USA das Fortbewegungsmittel Nummer eins, im Schnitt verfügt jeder Haushalt über ein solches Gefährt.

The Villages, gut eine Stunde nordwestlich von Orlando gelegen, ist ein eigenartiger Ort. In den späten 1960er-Jahren nach dem Vorbild von Sun City in Arizona gegründet, bestand die private Seniorenwohnanlage zunächst aus fünf Modellhäusern, die auf billig aufgekauftem Bauland errichtet worden waren. Seit Mitte der 1980er- Jahre wuchs sie immer mehr, machte den Immobilienvisionär Harold Schwartz und seinen Sohn Gary Morse zu Milliardären und besitzt heute mit rund 114.000 Einwohnern die Ausmaße einer Großstadt.

Noch immer ist die Familie Morse als Projektträger tonangebend. Wer hier eine Immobilie erwirbt, muss sich in ein enges Regelkorsett fügen. Doch die zahlreichen Vorschriften, die beispielsweise Fassadenfarben vorgeben und allzu ausgefallene Vorgartendekoration untersagen, schrecken nur wenige Kaufinteressenten ab. Rund 55.000 Häuser verteilen sich auf die rund 90 Quadratkilometer der ausuferndenden Siedlung, die sich über drei Postleitzahlengebiete erstreckt, und jeden Monat kommen weitere 200 dazu. Damit ist The Villages die am schnellsten wachsende Gemeinde der USA.»So langsam geht uns der Platz aus«, unkt Immobilienmakler Michael Joy.

Im Ruf, dass in The Villages auf jeden Mann zehn Frauen kämen, steht die Wohnanlage indes zu unrecht. Tatsächlich gibt es zwar unter den Alleinstehenden deutlich mehr Frauen als Männer, doch die Singles sind insgesamt eine kleine Minderheit: Rund 95 Prozent aller Haushalte bestehen aus Ehepaaren. Erstaunlich ist dagegen die Altersmischung im Stadtbild. Das Durchschnittsalter in The Villages liegt zwar bei 69 Jahren, aber wer auf den drei »Town Squares«, den sozialen Freiluftzentren, nur Rentner erwartet, hat sich getäuscht. Junge Familien und Paare mittleren Alters sind zahlreich vertreten. Zwar dürfen Kinder und Jugendliche maximal 30 Tage am Stück hier im Oldie-Himmel gastieren, damit die Gemeinde ihren steuerlichen Sonderstatus aufrechterhalten kann, aber die ungewöhnliche Enklave ist gleichwohl ein beliebtes Ziel für Familienurlaube, was vom Fehlen einer Mindestvermietdauer begünstigt wird.

Besonders für leidenschaftliche Golfspieler ist der Ort das wahre Paradies. Mit derzeit zwölf 18-Loch-Plätzen und drei Dutzend 9-Loch-Plätzen ist die Seniorenstadt die Gemeinde mit der höchsten Golfbahnanzahl weltweit. Mission Hills in China liegt mit 216 Golflöchern buchstäblich abgeschlagen auf Rang 2.

Im Pavillon auf dem Marktplatz spielt derweil wie jeden Tag seit 17 Uhr Livemusik, auf der Südseite vor dem Pavillon tanzen frisch- und nicht mehr ganz frischverliebte Paare den Dorfschieber (eins vor, zwei zurück), auf der Westseite haben sich Einzeltänzer aufgestellt und bewegen sich nach einer Aerobic-Choreographie. Gegen 19 Uhr ist der Platz rappelvoll, jeder bereitgestellte Plastikstuhl ist besetzt.

Spätankömmlinge bringen ihre Campingstühle mit. Die Schlange am »Bait Shack« genannten Kiosk wächst zusehends. Hier wird Alkoholisches in einfachen Plastikbechern ausgeschenkt. Derweil langweilen sich die Angestellten in den diagonal gegenüberliegenden Kiosken, die Nichtalkoholisches wie Cola und Fruchtsäfte anbieten. Auf öffentlichen Plätzen Alkohol zu trinken ist in Florida eigentlich verboten, doch in The Villages gehört der öffentliche Drink dazu, bis um 21 Uhr der Zapfenstreich eingeläutet wird. Senioren brauchen halt ihren Schlaf.

Das oft als »Disney World für Rentner« bezeichnete The Villages hat mit den Themenparks vor allem gewisse Gestaltungsdetails gemein: Das Straßenbild ist blitzblank, Beete und Blumenkübel werden im Dreimonatstakt neu bepflanzt, der Rasen in den meisten Vorgärten ist penibel manikürt und die nach historischem Vorbild gestalteten Fassaden rund um die Marktplätze sind in Pastelltönen gestrichen.

An den Laternenpfählen erinnern Banner daran, dass der Besucher sich in »Floridas freundlichster Stadt« befindet, dazu tönt aus Lautsprechern das Programm des gemeindeeigenen Radiosenders. Eine heile Welt, in der Realität und Illusion gerne mal verschwimmen. Was durchaus gewollt ist und Methode hat.

Das Haushaltseinkommen liegt im Schnitt bei bei rund 95.000 Dollar pro Jahr und damit gut doppelt so hoch wie im restlichen Bundesstaat. Man kann es sich leisten, die Wirklichkeit ein bisschen auszublenden und sich auf Spiel und Spaß zu konzentrieren. »Viele wollen einfach wieder Kind sein«, mutmaßt Norm Barber, der hier im Immobilienverkauf arbeitet.

Und Vergnügungsmöglichkeiten gibt es reichlich: Rund 2400 Clubs jedweder Art stehen zur Verfügung. Die kostenlose Wochenzeitung »Recreation News« listet auf 64 Seiten Aktivitäten von »A-cappella-Singen« bis »Zumba mit Mark«. Der große Trend heißt derzeit »Pickleball«, eine Mischung aus Tischtennis und Badminton. Und zahlreiche Softballteams spielen in mehreren Ligen, mitunter begleitet von Stafetten wirbelnden Cheerleader-Seniorinnen. Während der Frühjahrs- und Herbstsaison geht es im The Villages Polo Club zur Sache: Bereits zwei Stunden vor Beginn der Matches werden die Golfcarts auf dem Stadionpark- platz aufgereiht und die Villagers beginnen das sogenannte »Tailgating«, Mini-Grills und Kühlboxen inklusive. Dann ist Party wie zu besten Jugendzeiten angesagt!

So ein Lifestyle ruft natürlich die Spötter auf den Plan: Im satirischen Musical »Assisted Living« gibt Bühnenautorin und Darstellerin Betsy Bennett Gassenhauer wie »The Uplifting Viagra Medley« zum Besten. Die Show wurde in The Villages wochenlang vor ausverkauftem Haus aufgeführt. Humor ist schließlich, wenn man im Leben auch über sich selbst lachen kann..

SHOPPING

THE PURPLE PIG

1037 Canal Street, Lady Lake

Telefon (352) 753-2202

www.facebook.com/ThePurplePigFlorida

Ideale Anlaufstelle für Mitbringsel und Kunterbuntes.

STA-RITE CARTS & ACCESSORIES

100 N. Dixie Avenue, Fruitland Park

Telefon (352) 326-3100

www.thebatterydoc.com

Gebrauchte Golfcartsonderanfertigungen: Oldtimernachbauten, Sportcabrios, Miniatur-Feuerwehrautos – erlaubt ist, was das Herz begehrt und was der Geldbeutel hergibt.

RESTAURANTS

THAI RUBY

1064 Canal Street, Lady Lake

Telefon (352) 205-8288

www.facebook.com/Thai-Ruby-The-Villages-167755303367254


Das thailändische Restaurant genießt unter »Villagers« einen ausgezeichneten Ruf und große Beliebtheit, was vor allem mittags zu Wartezeiten führen kann.

KATIE BELLE'S

996 Del Mar Drive, Lady Lake

Telefon (352) 750-9411

www.thevillages.com/KatieBelles

Das Katie Belle's ist ein Tanzlokal wie zu Großmutters Zeiten. Serviert werden Salate, Suppen, Steaks und Meeresfrüchte. Anschließend werden die verzehrten Kalorien auf der Tanzfläche verbrannt.

ÜBERNACHTEN

THE WATERFRONT INN

1105 Lake Shore Drive, The Villages

Telefon (352) 753-7535

www.waterfrontinnvillages.com

Gemütliches Boutiquehotel direkt am Lake Sumter, nur wenige Schritte vom Lake Sumter Landing gelegen. Im See lassen sich Schildkröten und Alligatoren beobachten.

MIETANGEBOTE

www.rentthevillageshomes.com

www.villagershomes4rent.com

The Villages: Die Boom-Stadt der Rentner (2024)
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Author: Clemencia Bogisich Ret

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